Geschichte der MS NORDSTJERNEN

 

MS NORDSTJERNEN 1956

Ein maritimer Klassiker und seine Geschichte

 

 

Wie alles begann

Seit dem Sommer 1893 verbindet eine kombinierte Post-, Passagier- und Frachtschiffslinie die Orte entlang der norwegischen Küste. Zum Zeitpunkt ihrer Gründung war das neuartige Verkehrsangebot revolutionär, bot dieser Liniendienst doch erstmals ganzjährig rasche und zuverlässige Verkehrsverbindungen zwischen dem entlegenen und extremen Klimabedingungen ausgesetzten Nordnorwegen und dem Süden und damit dem Rest der Welt. Der Schnelldienst wurde unter dem Namen „Hurtigrute“ nicht nur bei den Bewohnern der Küste, sondern auch bei internationalen Reisenden, die in immer stärkerem Maße diese touristisch reizvolle Verbindung nutzten, bekannt.

Die renommierte „Bergenske Dampskibsselskab“, international als Bergen-Linie bekannt und beheimatet in der Hansestadt Bergen, dem Ausgangs- und südlichen Wendepunkt der Hurtigrute, war bereits seit 1894, also dem Jahr nach der Aufnahme des Dienstes, dabei.

 

Eine neue Nordstjernen

Die Bergen-Linie orderte die "Nordstjernen" als dringenden Ersatz für ihr früheres Hurtigruten-Flaggschiff, ebenfalls "Nordstjernen" genannt, welches 1937 gebaut und im September 1954 nach einer Grundberührung im Raftsund verlorengegangen ist. Der Auftrag für das neue Passagier-, Post- und Frachtschiff ging an die Werft von Blohm & Voss in Hamburg. Die Werft war im Zweiten Weltkrieg bei mehreren Luftangriffen stark beschädigt worden, und nach der Rücknahme der alliierten Schiffbau-Beschränkungen bemühte man sich um Aufträge und hoffte, an die erfolgreiche Neubautätigkeit der Vorkriegszeit anknüpfen zu können. Blohm & Voss konnte eine Lieferung im Frühjahr 1956 garantieren, und dies gab bei der Auftragsvergabe den Ausschlag.

Der Baukontrakt wurde noch im Dezember 1954 unterschrieben, und die Bauarbeiten für das Schiff mit der Werft-Nummer 787 begannen praktisch sofort danach. Die problematische Materialversorgung in der Nachkriegszeit sorgte dafür, daß die Kiellegung erst im September 1955 erfolgen konnte, aber danach ging es Schlag auf Schlag, und am 26. Oktober 1955 lief das Schiff vom Stapel.

Die weitere Fertigstellung des Schiffes verlief planmäßig, und so konnte der Neubau sogar noch ein paar Tage vor der vereinbarten Zeit am 24. Februar 1956 der Reederei übergeben werden. Das fertige Schiff war mit 2194 Bruttoregistertonnen vermessen, 80,77 m lang und 12,6 m breit. Der Tiefgang betrug 4,5 m. Die neue „Nordstjernen“ konnte ursprünglich bis zu 450 Passagiere aufnehmen, für die 195 Bettenplätze in Kabinen erster und zweiter Klasse zur Verfügung standen. Außerdem stand vorn in zwei Ladeluken eine Frachtkapazität von 645 Tonnen zur Verfügung. Für den Vortrieb war ein 6-Zylinder-Zweitakt-Dieselmotor von Burmeister & Wain mit einer Leistung von 3000 PS installiert, der dem Schiff über einen Verstellpropeller eine Dienstgeschwindigkeit von 15,5 Knoten verlieh.

Die Inneneinrichtung folgte einen einfachen Konzept. Alle großen Gesellschaftsräume befanden sich auf einem Deck – vorn der Bereich erster Klasse mit dem Panorama-Salon, der Eingangshalle und dem Speisesaal, achtern der Bereich zweiter Klasse mit der Cafeteria und einem weiteren Salon. Das aufwendige Dekor stammte zu großen Teilen vom norwegischen Künstler Paul René Gauguin (dem Enkel des bekannten französischen Malers), und die erhaltenen Werke legen davon noch heute Zeugnis ab.

 

Im Hurtigruten-Dienst

Am 1. März 1956 ging die neue „Nordstjernen“ auf ihre erste Reise im HurtigrutenLinienverkehr. Sie bewährte sich in ihrem Einsatzgebiet sehr gut, trotz der gelegentlichen Widrigkeiten, die ein Schiffsleben mit sich zu bringen pflegt. So kam es 1960 beim Anlegemanöver in Trondheim zu einer Kollision mit dem Kai, was zu einem mehrtägigen Werftaufenthalt führte.

1968 wurde der Hurtigruten-Dienst im Sommer durch eine Expressroute nach Svalbard ergänzt. Die jeweiligen Flaggschiffe der Reedereien wurden dazu für einen wöchentlichen Schnelldienst eingesetzt, und für die Bergen-Linie übernahm die "Nordstjernen" diese Rolle. Diese auch touristisch sehr attraktive Linie wurde bis 1982 jeden Sommer betrieben.

Am 15. Dezember 1971 erlitt die „Nordstjernen“ einen Maschinenschaden, so daß ausgerechnet die gut gebuchte Weihnachtsrundreise ausfallen mußte.

Ein weiteres touristisches Einsatzgebiet erschloss sich der „Nordstjernen“ ab 1976 bis 1979 in Form der populären Frühjahrsreisen nach Lerwick auf den Shetland-Inseln. Im Oktober 1979 schleppte die „Nordstjernen“ das Hurtigrutenschiff „Finnmarken“ nach einem Maschinenausfall in Sicherheit.

Im Januar 1979 beschloss die traditionsreiche Bergen-Linie, sich aus der Hurtigrute zurückzuziehen und den Dienst als solchen sowie ihre vier Schiffe an eine Lokalreederei im hohen Norden, nämlich die Troms Fylkes Dampskipsselskap (TFDS) in Tromsø, zu verkaufen. Der neue Eigner änderte Flagge, Schornsteinmarke und Heimathafen, ansonsten blieb die "Nordstjernen" überwiegend in ihrem angestammten Hurtigruten-Einsatz.

Um 1980 stand die Hurtigrute vor großen Veränderungen. Neue Schiffe kamen in Fahrt, und sie waren mit ihren großen Seiten-Laderampen bereits auf rollende Ladung ausgelegt. Die traditionellen Schiffe aus den 50er und 60er Jahren kamen spürbar in die Jahre, und einige waren bereits außer Dienst gestellt worden. Die „Nordstjernen“ verblieb aber im Einsatz, und es wurde beschlossen, sie einer umfangreichen Modernisierung zu unterziehen.

So wurde sie im Winter 1982/83 auf die Werft von Mjellem & Karlsen in Bergen geschickt. Zunächst wurde der alte Burmeister & Wain-Motor durch eine neue MaK 8-Zylinder 4-TaktDieselmaschine mit 3600 PS Leistung ersetzt. Gleichzeitig wurde aber auch das Innenleben umfassend modernisiert, und die bisherige Aufteilung der Passagierbereiche in erste und zweite Klasse wurde abgeschafft. Zusätzlich wurden die meisten Kabinen erster Klasse mit eigenen Dusch- und WC-Zellen nachgerüstet, womit sich die Passagierkapazität auf 179 Kabinenpassagiere reduzierte.

Am 23. März 1983 war die rundum modernisierte „Nordstjernen“ wieder im Einsatz. Die hohen Erwartungen, die insbesondere an den Maschinentausch gestellt wurden, erfüllten sich in der Folgezeit voll und ganz.

Die Folgejahre verliefen überwiegend ruhig. Im August 1984 fand die erste Hochzeit an Bord statt. Ein Maschinenausfall vor Støtt im Oktober 1985 und eine Grundberührung vor Vardø im Januar 1986 wurden registriert.

Der Jahreswechsel 1991/1992 war dagegen schon spektakulärer. In den frühen Morgenstunden des 1. Januar war die „Nordstjernen“ bei schlechtem Wetter südgehend auf dem Weg von Ålesund nach Bergen. Der Sturm wuchs sich im Laufe der Nacht zu einem vollen Orkan aus, und die „Nordstjernen“ lag beigedreht in der aufgepeitschten See. Es gelang, das nur schwer manövrierbare Schiff in sicherem Abstand von der Küste zu halten. Erst am nächsten Vormittag konnte die übermüdete und erschöpfte Crew die „Nordstjernen“ mit stundenlanger Verspätung in den Hafen von Måløy einbringen.

Inzwischen waren die acht verbliebenen Hurtigrutenschiffe der 50er und 60er Jahre definitiv zu Oldtimern geworden. Die Hurtigruten-Reedereien begannen, ein umfassendes Neubauprogramm in Angriff zu nehmen, und nach und nach ersetzten grosse Neubauten mit Kreuzfahrtcharakter die klassischen Postschiffe. 1994 wurde eine neue „Nordlys“ in Dienst gestellt und übernahm am 4. April den Hurtigrutendienst von der „Nordstjernen“. Jeder erwartete, dass dies das Ende der langen Hurtigrtuten-Karriere der "Nordstjernen" bedeuten würde.

Aber dauernd passieren unerwartete Dinge, und so sollte es auch im Falle der "Nordstjernen" sein. Ein paar leitende Mitarbeiter der TFDS waren der Meinung, daß der Oldtimer eigentlich viel zu gut für eine Außerdienststellung war - vor allem in Hinblick auf die neue Hauptmaschine und die umfassende Modernisierung. Man entsann sich der erfolgreichen Spitzbergen-Einsätze des Schiffes im Rahmen des Svalbard Express. Und so wurde für die Sommersaison 1994 ein attraktives Programm mit einwöchigen Rundreisen nach Spitzbergen aufgelegt, die sich als sehr erfolgreich erwiesen und - mit Variationen - bis 2009 jährlich wiederholt wurden.

In den Folgejahren wurde das Schiff immer wieder als Ersatzschiff in die Hurtigrute zurückgeholt, vor allem in den Wintermonaten. Und zwischen den Wintereinsätzen im Liniendienst und der Spitzbergen-Saison im Sommermonaten war auch immer wieder Zeit für Kreuzfahrten in nordeuropäischen Gewässern. In den Jahren 2003 und zu ihrem 50. Geburtstag 2006 lief die "Nordstjernen" sogar wieder ihre Geburtsstätte Hamburg an. Aber das Jahr 2006 war aber auch noch aus einem anderen Grund bemerkenswert: Im März erfolgte die Fusion der beiden letzten Hurtigruten-Reedereien TFDS und OVDS zur Hurtigruten Group ASA. Die gesamte Flotte wurde nach und nach an das Erscheinungsbild der neuen Firma angepasst, und auch die "Nordstjernen" erhielt die neue Schornsteinmarke mit dem "H"-Logo.

Aber nichts währt ewig, und im Jahre 2012 endete die Hurtigruten-Karriere der "Nordstjernen" endgültig. Die letzte Reise im Liniendienst endete im März, und eine letzte SpitzbergenSaison wurde für die Sommermonate aufgelegt. Mit der Rückreise von Spitzbergen nach Bergen und der Ankunft in ihrem urspünglichen Heimathafen am 1. September 2012 endete die längste Karriere aller Hurtigrutenschiffe nach 56 Jahren.

 

Vestland Classic

Im November 2012 wurde das Schiff an Vestland Classic verkauft, um weiterhin als Passagierschiff für Küsten- und Expeditionsfahrten eingesetzt zu werden. Fast zeitgleich stellte die oberste norwegische Denkmalschutzbehörde die „Nordstjernen“ unter uneingeschränkten Denkmalschutz als besonderes Beispiel für das Schiffsdesign der 50er Jahre, das in vielen Bereichen noch auf Entwürfe der30er Jahre und der Dampfschiffszeit zurückgeht.

Vestland Classic brachte sie zunächst in die Werft nach Danzig, um sie wieder so weit wie möglich in ihren Ursprungszustand zurückzuversetzen. In der ersten Jahreshälfte 2013 wurde sie gründlich instandgesetzt, der Rumpf sandgestrahlt und neu gestrichen. Schornstein und Rettungsboote erstrahlen wieder in den ursprünglichen Farben der Bergen-Linie, und Bergen ist auch wieder der Heimathafen. Im Juli 2013 verliess sie Danzig, um am "Fjordsteam 2013"- Festival in Bergen teilzuznehmen und sich der Öffentlichkeit im neuen Kleid zu präsentieren.

Die Sommersaison 2014 verbrachte das Schiff dann mit ein- und mehrtägigen Ausflugsfahrten an der norwegischen Küste, deren besonderer Höhepunkt die Teilnahme am Jubiläumskonvoi anläßlich des 200. Jahrestages der norwegischen Verfassung darstellte. Seit 2015 wird die „Nordstjernen“ während der Sommersaison im Charter ihres ehemaligen Eigners Hurtigruten wieder in Spitzbergen eingesetzt

Im Jahr 2016 wurde die „Nordstjernen“ 60 Jahre alt und dürfte damit eines von weltweit nur sehr wenigen Passagierschiffen sein, die auf eine so lange aktive Dienstzeit zurückblicken können – dazu noch ohne größere Umbauten. Auch im Jubiläumsjahr verbrachte das Schiff den Sommer für Hurtigruten in Spitzbergen, die letzte Spitzbergenreise im September wurde jedoch als 16tägige Überführungsfahrt von Longyearbyen bis nach Hamburg durchgeführt. Damit kam das Schiff nach zehnjähriger Unterbrechung wieder zurück an den Ort seiner Entstehung. Aus Anlaß des Jubiläums lag das Schiff ein Wochenende lang an der Überseebrücke und konnte dort besichtigt werden. Von dort ging es zurück in die Danziger Werft. Auf dem ersten Abschnitt der Reise, der Passage durch den Nord-Ostsee-Kanal bis nach Kiel, hatten etwa einhundert deutsche Freunde des Schiffes die Gelegenheit zur Mitfahrt. Den Winter verbrachte das Schiff zunächst aufgelegt in Danzig, im März und April schlossen sich dann drei Winterreisen, wiederum im Hurtigruten-Charter, in Nordnorwegen an.

Zusätzlich zu den Spitzbergen-Einsätzen in den Sommermonaten bietet Vestland Classic in den letzten Jahren jeweils in der Vor- und Nachsaison in eigener Regie einzelne Nostalgiereisen im Stile der klassischen Postdampfer früherer Zeiten auch im übrigen Nordeuropa durch. Im Mai 2017 führte die erste Nostalgie-Seereise von Bergen nach Hamburg, wobei der Sognefjord mit seinen Seitenarmen ebenso besucht wurde wie eine Anzahl kleiner, aber feiner Häfen in Südnorwegen und Dänemark. Zwei Herbstreisen im Jahr 2018 führten die „Nordstjernen“ von Trondheim über Nord-, Sogne- und Hardangerfjord, südnorwegische Häfen sowie die dänische Südsee nach Lübeck. Im Frühjahr 2019 fanden drei Reisen statt, mit zahlreichen Anläufen kleiner, exquisiter Häfen an der Südwestküste Norwegens, in Jütland, der dänischen Inselwelt, aber auch auf der Inselgruppe der Shetlands im Nordatlantik. Schließlich konnten im Herbst 2019 sogar vier Reisen mit Basishafen Travemünde angeboten werden, neben einer Südnorwegenreise lag der Schwerpunkt auf interessanten Destinationen im Baltikum. Aufgrund ihrer geringen Größe konnte die „Nordstjernen“ dabei immer wieder außergewöhliche Häfen abseits der großen Tourismusdestinationen anlaufen, die selten oder nie von Kreuzfahrtschiffen besucht werden.

Nach einer langen Pause aufgrund der Corona-Pandemie ging es im September 2023 endlich wieder auf große Fahrt. Erstmals begann unsere nostalgische Postschiffreise, die binnen kürzester Zeit ausverkauft war, in Nordnorwegen. Über die Vesterålen und Lofoten ging es nach Süden. Wir bewunderten den Svartisen Gletscher, überquerten den Polarkreis und besuchten mit Bessaker einen der früheren Anlaufhäfen der Nordstjernen. Der Lysefjord und Stavanger empfingen uns mit Sonnenschein, und in Kristiansand nahmen wir Abschied von Norwegen, bevor wir über das Skagerrak in das dänische Helsingør fuhren. Unsere nostalgische Postschiffreise endete schließlich in Sassnitz mit einem Erstanlauf für die Nordstjernen. Schön wars!